Weniger Hilfen für Obdachlose und mehr Kältetote in Zeiten der Corona-Krise
Ein Gastbeitrag von Susan Bonath
Sie haben keinen Zufluchtsort. Viele leiden unter schweren Erkrankungen. Obdachlose Menschen haben keine Lobby. Erst recht in Pandemiezeiten stehen Betroffene hinten an. Die Politik verlässt sich auf karitatives Engagement. Es mangelt an adäquaten Unterkünften und Sozialarbeitern. Die Zahl der Kälteopfer wächst.
In der ersten Januarwoche meldete allein die Stadt Hamburg fünf erfrorene Wohnungslose. Das waren so viele wie noch nie in einem so kurzen Zeitraum in der Hansestadt. Die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft beklagt den Mangel schon lange. Sie fordert vom Senat, leer stehende Hotels und Pensionen zur Aufnahme von Betroffenen zu verpflichten – bisher erfolglos. Auch die CDU in der Opposition hatte dies bislang abgelehnt. Nun änderte sie ihre Einschätzung, beantragte deshalb eine Sondersitzung des Sozialausschusses. Ein Termin steht noch aus.
Senat will Obdachlose offenbar nicht in leeren Hotels unterbringen
Am Vormittag des 8. Januar fand ein Passant einen regungslosen Mann auf einem Gehweg der Reeperbahn. Für ihn kam jede Hilfe zu spät. "Die Beamten versuchten den 66-Jährigen wiederzubeleben – jedoch ohne Erfolg", teilte der Lagedienst der Polizei einen Tag später mit.
Wie das Hamburger Obdachlosen-Magazin Hinz & Kunzt in dieser Woche informierte, starb bereits in der Neujahrsnacht ein 48-jähriger Wohnungsloser nahe den Landungsbrücken. Tags darauf fanden Fußgänger einen 59-Jährigen tot auf seiner Isomatte im Schanzenpark auf. Kurz darauf verstarb ein 65-jähriger Mann in seinem Zelt. In der Nacht zum 4. Januar fanden Menschen die Leiche eines 45-Jährigen unter der Überdachung eines Mehrfamilienhauses. Dort hatte der Mann ohne Bleibe wohl Schutz vor Kälte und Nässe gesucht.
Der Senat müsse in der Sondersitzung erklären, warum er an unzureichenden Sammelunterkünften festhalte, statt Betroffene in leeren Hotels einzuquartieren, mahnte zu Wochenbeginn der sozialpolitische Sprecher der Hamburger CDU-Fraktion, Andreas Grutzeck. An den Kosten scheitere dies wohl nicht, gab er zu bedenken. So würden in kleinen Hotels etwa 30 Euro pro Nacht fällig. Ein Platz im Winternotprogramm kostet nach seiner Einschätzung "fast doppelt so viel".
Zudem fragt sich Grutzeck, weshalb der Senat seit einiger Zeit die Auslastung der einzelnen Unterkünfte nicht mehr melde. "Nur dank privater Spenden und dem Engagement mehrerer Träger können wenigstens einige Obdachlose in Hotels untergebracht werden", erläuterte der Abgeordnete. Hinz & Kunzt meldete am 12. Januar, dass 90 Menschen dank karitativen Wohlwollens vorübergehend derart untergekommen sind.
Linke: "Alle unsere Anträge wurden in der Bürgerschaft abgelehnt"
Die sozialpolitische Sprecherin der Linken, Stephanie Rose, mahnte bereits am 7. Januar gravierende sozialpolitische Missstände an. Der Senat aus SPD und Grünen unternehme zu wenig gegen die fortschreitende Verelendung, kritisierte sie. Klären müsse er auch, weshalb viele Betroffene die städtischen Unterkünfte meiden.
Roses Fraktion sei aber bisher mit ihren Forderungen ins Leere gelaufen. Sie habe mehrfach vorgeschlagen, Betroffene in Hotels und Pensionen übernachten zu lassen und städtische Notunterkünfte als Wärmeschutz und Rückzugsorte ganztags zu öffnen. Auch einen Runden Tisch habe sie beantragt, um "Versorgungslücken aufzudecken". "Doch alle unsere Anträge wurden in der Bürgerschaft abgelehnt", konstatierte Rose.
Eine Anfrage der Autorin zu den aktuellen Bedingungen und weiteren Bemühungen des Senats beantwortete die Sozialbehörde der Hansestadt am Mittwoch nicht. Hamburg ist laut Statistischem Bundesamt sowohl die Stadt mit den meisten Millionären in Deutschland als auch ein sozialer Brennpunkt. Im März 2018 wurden bei einer Zählung knapp 2.000 Menschen ohne Dach über dem Kopf angetroffen – fast doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor und ähnlich viele wie bei einer Zählung Anfang 2020 in Berlin. Tatsächlich seien wohl Hunderte weitere Menschen in Hamburg betroffen, Tendenz steigend, vermutet man bei Hinz & Kunzt.
Kältetote auch anderswo: Verein fordert mehr politisches Engagement
Auch anderswo fehlt es offenkundig an politischem Engagement, um das wachsende Straßenelend einzudämmen. Vergangene Woche starb ein 54-jähriger Wohnungsloser in der Augsburger Innenstadt. Ein 40-jähriger Mann erfror auf einer Parkbank in Wolfsburg. In Mainz wurde im Dezember eine 72-jährige obdachlose Frau nahe der Universitätsklinik tot aufgefunden. Laut Polizei war auch sie erfroren. In Hamburg starb am 5. Dezember nach Angaben der Behörden ein weiterer Obdachloser. Im Freiburger Stadtgarten fand man im November eine 58-Jährige, nach Behördenangaben war auch hier die Todesursache das Erfrieren.
Bereits Anfang November startete die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) einen drastischen Appell: Die Pandemie mache es dringend erforderlich, die Kältehilfe bundesweit aufzustocken. Von Jahr zu Jahr wachse die Zahl der Wohnungs- und Obdachlosen in Deutschland, darunter viele Arbeitssuchende aus Ost- und Südeuropa sowie viele Flüchtlinge.
Die BAGW schätzt die Zahl der Wohnungslosen in der Bundesrepublik auf mehr als 600.000. Viele davon kämen zwar in Notquartieren oder bei Bekannten unter. Über 40.000 Menschen lebten aber mindestens durchgehend auf der Straße, heißt es. Seit 1991 seien 320 Kältetote erfasst, wahrscheinlich sei ihre Zahl jedoch höher. Trotzdem böten Kommunen noch immer viel zu wenige Plätze in Notquartieren an, die Zustände dort seien meist katastrophal und weit entfernt vom tatsächlichen Bedarf. In der Pandemie gebe es noch weniger Plätze, Hilfen seien oft nicht verfügbar. Dies müsse die Politik sofort ändern, so der Verein.
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