Gesellschaft

55. Festival der Jugend: Linke Jugendliche diskutieren über Sozialabbau, Krieg und soziale Kämpfe

Zum SDAJ-Festival der Jugend kamen so viele Teilnehmer wie seit 1989 nicht mehr. Auf hohem Niveau diskutierten junge Menschen über Sozialabbau, Krieg und Wirtschaftssysteme. Dabei wurden Meinungsunterschiede sachlich und respektvoll ausgetragen. Es ging auch darum, "ein Bewusstsein für eine depressive Jugendgeneration zu schaffen, dass man etwas ändern kann".
55. Festival der Jugend: Linke Jugendliche diskutieren über Sozialabbau, Krieg und soziale Kämpfe© Felicitas Rabe

Eine Analyse von Felicitas Rabe

Zum 55. Festival der Jugend, das über Pfingsten in den Kölner Rheinauen stattfand, kamen laut Veranstalter über 3.000 Teilnehmer – somit ist es das größte Festival der Jugend seit 1989. Veranstaltet wird das Kultur- und Bildungscamp traditionell von der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ). Dabei wird diese von der DKP,  linken Bündnispartnern und Friedensorganisationen unterstützt.

An drei Tagen diskutierten junge Menschen aus der ganzen Republik über soziale, wirtschaftliche und politische Themen der Zeit und der Zeitgeschichte. Die vielfältigen Workshop-Inhalte umfassten Klassenkampf in Theorie und Praxis, Kapitalismuskritik, Sozialabbau, Ukraine-Krieg, Frauenbewegung und Gewerkschaftsarbeit, um nur ein paar Themen zu nennen. Neben Kultur- und Sportangeboten fanden auch Vernetzungstreffen für politische Aktionen statt.

Was der Berichterstatterin bei ihren Stippvisiten einzelner Seminare als Erstes ins Auge fiel, war das hohe Niveau, auf dem Referenten und die jungen Teilnehmer miteinander diskutierten. Offensichtlich gibt es hierzulande linke Jugendliche, die sich intensiv mit politischer und wirtschaftlicher Analyse beschäftigen und sich ein umfassendes Hintergrundwissen angeeignet haben. Beeindruckend war zudem eine für diese Zeit fast schon außergewöhnliche Diskussionskultur, in der unterschiedliche Meinungen und Perspektiven mit Interesse und Respekt behandelt wurden. Unter "Altlinken" konnte man eine vergleichbar sachliche Auseinandersetzung bei umstrittenen Themen in den letzten Jahren lange suchen.

Eines der Hauptthemen, das sich auf dem Festival durch viele Veranstaltungen zog, war der Zusammenhang zwischen dem Krieg in der Ukraine und einem zunehmend dramatischen Sozialabbau. Dabei sei es beileibe nicht die Schuld Russlands, wurde in vielen Vorträgen betont, wenn zum Beispiel immer mehr Schüler in Deutschland in Containern unterrichtet würden, nur noch unzumutbare sanitäre Anlagen zur Verfügung gestellt bekämen und immer länger auf immer seltener eingesetzte Schulbusse warten müssten.

Die Referentinnen im Workshop "Den Klassenkampf organisieren" analysierten die Auswirkungen des Sozialabbaus auf die Situation von Schülern, Studenten und Auszubildenden. Anhand praktischer Aktionsbeispiele berichteten sie von erfolgreichen Aktionen und Mobilisierungen gegen den Sozialabbau im Bildungsbereich.

Bei solchen Aktionen würden organisierte SDAJ-Mitglieder anderen Jugendlichen neben der Aktionspraxis auch Hintergründe der Bildungsmisere und grundsätzliche Kapitalismuskritik vermitteln. Beispielsweise werde die Schulbusdezimierung von den Verkehrsbetrieben lapidar auf einen angeblichen Fachkräftemangel geschoben. Tatsächlich sei der Busfahrerschwund aber auf die mangelnde Entlohnung der Fahrer zurückzuführen. Diese müssten zum Teil noch Nebenjobs annehmen, um ihr Leben finanzieren zu können. Für SDAJ-ler sei die Organisation sozialer Kämpfe auch deshalb wichtig, um bei Jugendlichen überhaupt ein Bewusstsein für Klassenunterschiede zu schaffen und politische Kämpfe für eine "depressive Jugendgeneration" erfahrbar zu machen:

"Mit den Aktionen schaffen wir ein Bewusstsein für eine depressive Generation, dass man überhaupt etwas ändern kann."

Mittlerweile seien 80 Prozent der Studierenden armutsgefährdet, ihre prekäre Lage würde zur neuen Normalität erklärt.

"Die Armut der Studenten ist gesellschaftlich normalisiert worden", so eine Diskussionsteilnehmerin.

Nur noch ein geringer Teil könne BAFöG-Unterstützung beziehen. Aufgrund der wirtschaftlich prekären Lage, die durch Mieterhöhungen, steigende Energie- und Lebensmittelpreise noch verstärkt würde, sei das Mensa-Essen vielfach die einzige warme Mahlzeit, die die Studenten zu sich nähmen. Durch die steigenden Mensa-Essenspreise könnten sich mittlerweile viele selbst das nicht mehr leisten. Seit der Corona-Pandemie gäbe es zudem eine gravierende Zunahme psychischer Probleme unter Studenten. Gesellschaftlich würde das einfach nicht wahrgenommen, und adäquate Therapieangebote gäbe es erst recht nicht.

In dieser Situation habe die Bundesregierung zuletzt wieder 100 Milliarden für Militär und Rüstung bewilligt, anstatt in die dringend benötigte Förderung von Schule, Bildung und Gesundheitssystem zu investieren. Hier erkenne man einen direkten Zusammenhang zwischen der prekären Lage der Schüler und Studenten und der von Staats wegen organisierten Kriegstreiberei. Aus diesem Grund müsse man auch Preissteigerung und Inflation mit der Friedensfrage verbinden, lautete eine Forderung am Ende des Workshops. Die Profiteure der Bildungsverwahrlosung und Gesundheitsvernachlässigung seien Kriegsprofiteure und Rüstungsproduzenten. Diesbezüglich stellte eine Podiumsreferentin fest:

"Es ist absurd, dass man mit unseren Grundbedürfnissen Profite machen möchte."

"Dabei machen Konzerne auf unsere Kosten Rekordgewinne."

Deshalb sei es so wichtig, jungen Menschen in Schüler- und Studentenversammlungen bewusst zu machen, dass es nicht Russland sei, welches hierzulande für Sozialabbau und Preissteigerungen verantwortlich sei. Auch wenn die Bundesregierung das so behauptete.

Im Workshop "Proletarische Frauenbewegung und bürgerlicher Feminismus" wurden unter anderem auch die Unterschiede der Frauenbewegungen in der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik diskutiert. In den neuen Bundesländern halle immer noch nach, dass die Frauen in der DDR kollektiv organisiert waren.

Bis heute herrsche dort in Frauennetzwerken ein anderes Bewusstsein über kollektive Lösungen für Frauenthemen, wie zum Beispiel die Versorgung der Kinder. Demgegenüber würden Frauen aus westlichen Bundesländern die Kinderversorgung als ihr privates Problem erleben.

In der Diskussion formulierte es eine Teilnehmerin so: "Die Frauenfrage ist eine Klassenfrage." Schließlich seien Frauen gleich mehrfach von der aktuellen kapitalistischen Zuspitzung betroffen. Denn was aktuell stattfinde, sei ein massiver Angriff auf die sozialen Versorgungssysteme. Denn es sind überwiegend Frauen, die dann die soziale Versorgung von Kindern (wie zum Beispiel den Schulkindern in der Corona-Pandemie) oder kranken Familienmitgliedern etc. noch zusätzlich übernehmen.

Gleichzeitig gäbe es einen ideologischen Angriff auf die in den letzten 50 Jahren erkämpften Frauenrechte und ein mangelndes Bewusstsein über die besondere Ausbeutungssituation von Frauen im Kapitalismus. Linke Genossinnen aus dem globalen Süden, wie zum Beispiel in Lateinamerika, hätten hinsichtlich der Frauenfrage ein viel klareres Bewusstsein als die Frauen im globalen Norden. Hierzulande würde die Frauenfrage höchstens gelegentlich mit Videobotschaften wie "Hilf Deiner Frau auch mal beim Abwaschen" abgehandelt.

Es würde hier den Rahmen sprengen, die Vielfalt der Themen wiederzugeben, die auf dem Festival der Jugend bearbeitet wurden. Nur ein paar Beispiele seien noch genannt: Die Abschaffung der Zivilklauseln an den Universitäten ‒ damit könnte die Rüstungsindustrie demnächst Studenten für sich forschen lassen. Die umstrittene Rolle von Gewerkschaften ‒ welche zunehmend auch als Erfüllungsgehilfen des Kapitals auftreten. Mitgliederschwund und Tarifvertragsrückgänge seien die Folge.

Bei ihrer Rede auf der Festival-Vollversammlung stellte die SDAJ-Vorsitzende Andrea Hornung fest:

"Es fällt schwer, im Sozialismus die Lösung zu sehen, wenn man im Kapitalismus schon die Hoffnung verloren hat."

Während eine massive Umverteilung von unten nach oben stattfände, würde der Reallohn weiter sinken. Während die Regierung uns immer weiter in den Krieg treiben würde, wüssten die Menschen nicht, womit sie ihre Heizrechnungen bezahlen sollten. In einer Zeit, in der Reiche immer reicher und Arme immer ärmer würden, seien soziale Kämpfe notwendiger denn je.

In seiner Abschlussrede bedankte sich der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele für die gute Kooperation zwischen der SDAJ und der DKP. Der NATO-Krieg gegen die Russische Föderation drohe, zu einem Weltkrieg zu eskalieren. Gleichzeitig befinden wir uns in einem Wirtschaftskrieg. Die Hetze gegen Russland und China müsse aufhören, erklärte Köbele.

"Wir brauchen die Kraft, gegen diesen Krieg und gegen diese Bundesregierung, die Krieg und die Hochrüstung befördert, zu kämpfen."

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